Urnäsch, Appenzell Ausserrhoden, Schweiz
Urnäsch zählt etwa 2.270 Einwohnerinnen und ist mit einer Fläche von 4.823 ha die flächenmäßig größte Gemeinde des in der Ostschweiz gelegenen Kantons Appenzell Ausserrhoden. Mitte der 1990er Jahre hatten sich die Urnäscher Gemeindebehörden entschlossen, etwas gegen den Verlust von Arbeitsplätzen und die Abwanderung zu unternehmen.
In einer breit angelegten Bevölkerungsbefragung wurden Ideen gesucht, die dann unter dem Motto: „Mittenand vorwärts“ diskutiert und in Bezug auf verschiedene mögliche Stoßrichtungen bewertet wurden. Dabei gab man aufgrund der natürlichen Voraussetzungen und der bereits vorhandenen Infrastruktur einer verstärkten touristischen Entwicklung den Vorzug. Eine Arbeitsgruppe erhielt 1999 den Auftrag, ein konkretes, praktisch realisierbares Projekt zu entwickeln. Die Richtung stand schon in der Startphase fest: Urnäsch verkraftet nur einen sanften, nachhaltigen Tourismus, der auf vorhandenen Potenzialen basiert. Dieser Ansatz deckte sich auch mit den Ergebnissen einer Untersuchung der ETH-UNS.
Kern des Projektes war eine Feriendorf-Anlage auf verkehrsgünstig gelegenem gemeindeeigenem Grundstück, das von der REKA ( Schweizerischer Reisekasse ) betrieben werden sollte. Gemeinsam mit der REKA wurde schließlich vereinbart, dass das Feriendorf durch eine didaktische Leitlinie zu charakterisieren wäre: das Verständnis, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, für die praktizierende Land- und Forstwirtschaft sowie für die Appenzeller Kulturlandschaft zu Fördern und eine Vorstellung von zukunftsfähiger Bewirtschaftung zu geben.
Mit dieser Entscheidung war klar, dass das REKA-Projekt in eine umfassende ökologische und auf strikte Nachhaltigkeit abzielende Dorferneuerung einzubetten war: demonstrativ ökologische Ausrichtung der ins Projekt eingebundenen „Aktivbauernhöfe“; innovative, biologische Milchverwertung; naturnahe Forstwirtschaft mit sorgfältiger Sortierung des Einschlages; Energiegewinnung aus Biomasse; Pflege bzw. Instandsetzung von historischen Bauten in den Streulagen und im Dorfkern.
Die Proponenten des Projektes verfolgten mit dem Feriendorf weitere ehrgeizige Ziele: eine Demonstration des „Neuen Bauens in Appenzell“, weitest gehende Verwendung von lokal gewonnenem, nicht behandeltem Bauholz, minimaler Energieverbrauch und höchste Qualität bei limitierten, unterdurchschnittlichen Kosten. Der Bregenzer Architektengemeinschaft Gnaiger/Dietrich/Untertrifaller, die für das Bauvorhaben gewonnen werden konnte, gelang es, auch die zunächst traditionalistisch ausgerichteten Gruppen der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass keines der innovativen Ziele unter einem neofolkloristischen Baugestaltungsprogramm erreicht werden könne. So wurde schließlich eine verdichtete, zweigeschossige Flachbauweise gewählt, die Aussicht und Besonnung sowie schonende Einbettung in die gegebene hügelige Landschaft bietet. Zugleich wurden die optische Bedeutung der angrenzenden stattlichen Appenzellerhöfe und deren Blick in die Landschaft belassen.
Die Gemeinde übergab das Projekt der neu gegründeten Feriendorf Urnäsch AG, die das notwendige Eigenkapital von 11 Millionen SF (Schweizer Franken) bei geschätzten Baukosten von 19 Millionen SF beschaffen musste. Die Hürde wurde übersprungen: Über 800 Personen zeichneten Aktien, den Rest finanzierten der Kantonsrat von Appenzell Ausserrhoden sowie verschiedene regionale Stiftungen. Nach mehrjähriger Vorbereitungs- und Planungsphase erfolgten im Mai 2006 der symbolische Spatenstich und gut eineinhalb Jahre später Anfang 2008 die Übergabe der fertig gestellten Bauten an die Schweizer Reisekasse.
Der Bau des REKA-Dorfes gab Anstoss für eine Reihe weiterer aufeinander abgesimmte, miteinander vernetzte und Synergien zeitigende Projekte. Allem voran sind das die Errichtung einer Holzschnitzelfeuerungsanlage zur Wärmeversorgung der Ferienanlage sowie etlicher Gewerbe- und Wohnbauten und die Gründung des Vereines Urholz durch lokal verwurzelte Firmen. Ziel dabei ist es, Holz aus der Region ökologisch sinnvoll zu nutzen und mit einem hohen Qualitätsstandard zu verarbeiten. Nicht zuletzt sei auf ein mehrteiliges landwirtschaftliches Regionalprojekt verwiesen, das auf einer engen Verschränkung von Landwirtschaft, Tourismus und Gewerbe basiert und vorrangig der den Themen Milchverarbeitung, der Verbesserung der agrotouristischen Infrastruktur und Naturerlebnis gewidmet ist.
Die Gemeinde Urnäsch ist ein beeindruckendes Beispiel für eine höchst erfolgreiche Trendumkehr vom Abwanderungsraum zum vorbildhaften Innovationsstandort. Herzstück der Entwicklungsmaßnahmen ist die Errichtung eines REKA-Feriendorfes als Referenzprojekt für nachhaltige, qualitätvolle Architektur und Bautechnik im ländlichen Raum. Höchste Anerkennung verdienen dabei auch die Finanzierung und die Realisierung des Projektes, die auf einem optimalen Zusammenspiel von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik unter starker Einbindung der Bevölkerung basieren. Darüber hinaus wird am Feriendorf deutlich, was Urnäsch insgesamt auszeichnet: Es steht für eine Beispiel gebende Vernetzung von natürlichen, landwirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen mit neuen Wertschöpfungsketten, die die Einkommenschancen und die Lebensqualität aller EinwohnerInnen zu verbessern imstande ist.
Evaluiert: 2008