Stadtschlaining, Burgenland, Österreich
Die Stadtgemeinde Stadtschlaining im Bezirk Oberwart im Burgenland lässt sich gleichermaßen als außergewöhnlich wie auch als vorbildhaft bezeichnen, was sich in seiner Gesamtheit nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließt. Rund 2.250 Menschen leben in der aus den fünf Ortschaften Altschlaining, Drumling, Goberling, Neumarkt im Tauchental und Stadtschlaining bestehenden Gemeinde. Passend zum Namen des Bundeslandes erinnert im historischen Zentrum eine wunderschön restaurierte Burg an das mittelalterliche Erbe des Ortes. Befasst man sich jedoch näher mit der Geschichte, den BewohnerInnen und der Mission Stadtschainings, so merkt man schnell, dass es sich hier um keine durchschnittliche burgenländische Gemeinde handelt.
Spricht man von Stadtschlaining, so ist es unmöglich, das Thema der Friedenskultur zu übergehen. Seit 1995 ist Stadtschlaining eine von weltweit fünf Friedensstädten und nimmt die Mission, die mit dieser Bezeichnung einhergeht, sehr ernst. Die bereits erwähnte Burg wurde aufwändig renoviert und beherbergt ein Friedensmuseum sowie ein Friedenszentrum, an dem der immer populärer werdende Lehrgang „Peace and Conflict Studies“ angeboten wird. Stadtschlaining wurde zu einem internationalen Zentrum für den sozialen und kulturellen Austausch, das dem Thema Frieden jene Aufmerksamkeit schenkt, die ihm gebührt.
Im Zusammenhang damit ist eines der Wahrzeichen der Gemeinde ein Geschenk aus Japan: einer der letzten fünf Origami-Kraniche von Sadako Sasaki, die infolge der Atombombenabwürfe an Leukämie erkrankte. Laut einer japanischen Legende steht jedem Menschen, der 1000 Kraniche faltet, ein Wunsch frei, der von den Göttern erfüllt wird. Sadako fertigte 1.600 Papierkraniche an, dennoch ging ihr Wunsch auf Genesung nicht in Erfüllung. Die von ihr gefalteten Kraniche gelten jedoch als Mahnmal für die Grausamkeiten des Krieges und sollen stets in Erinnerung rufen, wie wichtig Frieden ist. Sadakos Bruder verteilte deshalb fünf Kraniche auf fünf Kontinenten, den für Europa bestimmten bekam Stadtschlaining 2009 bei einer Feier mit Sadakos Familie überreicht und bewahrt diesen seitdem gebührend in der Friedensburg auf.
Doch Frieden wird in Stadtschlaining nicht nur gepredigt und studiert, sondern im alltäglichen Umgang miteinander gelebt. Menschen unterschiedlichster Herkunft – unglaubliche 25 Nationen sind in Stadtschlaining vertreten – und unterschiedlichsten Alters leben hier friedlich zusammen, Vielfalt wird definitiv großgeschrieben. Der interkulturelle und intergenerationelle Austausch wird unter anderem durch das rege Vereinsleben gefördert. Von Sportvereinen für Kinder, Blasmusikkapellen, der Freiwilligen Feuerwehr bis hin zu den Walking Chicks, einem Walkingverein für die Junggebliebenen des Ortes, finden hier jede und jeder Anschluss und einen schönen Freizeitvertreib. So ist es nicht sehr überraschend, dass ein Großteil der Bevölkerung Stadtschlainings Mitglied in mindestens einem Verein ist. Die Gemeinde fördert das Zusammenleben und das Zugehörigkeitsgefühl unter den BewohnerInnen.
Zudem werden zahlreiche Bemühungen zur Integration unternommen, wie zum Beispiel das „Live Music Unisono Now“, eine in Zusammenarbeit mit der Joseph Haydn-Privatuniversität entstandene Initiative zur Einbindung von Geflüchteten, oder die Umsetzung des Wohnheim-Kartells Dornau, welches auch als Bauernhof betrieben wird. Dieses ist eines der Projekte zur Integration von Menschen mit Beeinträchtigung, das vor allem Wert auf Bewegung legt. Besonders beeindruckend ist die Teilnahme von BewohnerInnen an den Special Olympics, was die positive Wirkung des Projektes eindeutig bestätigt. Auch die Einbindung von Services wie „Essen auf Rädern“ oder die mobile Hauskrankenpflege MOKI ermöglichen eine zuverlässige Versorgung von bedürftigen Personen. Generell setzt Stadtschlaining auf Barrierefreiheit im öffentlichen Raum (möglichst alle Flächen sollen behinderten- und kinderwagengerecht erschlossen werden) und ist nicht zuletzt auch durch seniorengerechte Wohnungen und diverse Pflegeeinrichtungen ein attraktiver Ort zum Älterwerden.
Weiters bietet die Gemeinde ihrer Bevölkerung ein vielseitiges kulturelles Programm, das sich aus Blues-Festivals, Streetfood-Markets, Christkindl- und Bauernmärkten sowie unterschiedlichen Konzerten zusammensetzt. Besonders beeindruckend ist hier auch das Angebot der Hausmusik, bei dem MusikantInnen in privaten Wohnräumen kleine Konzerte abhalten.
Ab 1995 begann die Gemeinde mit der strategischen Dorfentwicklung. Im Rahmen eines Dorferneuerungsprozesses mit Bürgerbeteiligung wurden Leitbilder erarbeitet, stetig evaluiert und kontinuierlich umgesetzt. Besonders hervorzuheben ist hierbei die gelungene Zusammenarbeit der Gemeinde mit der Bevölkerung, aber auch zwischen den fünf Ortsteilen, mit den Nachbargemeinden und auch mit einigen Städtepartnerschaften, die sowohl den kulturellen als auch den wirtschaftlichen Austausch fördern.
Auch aus der baugestalterischen Perspektive der Dorferneuerung findet man für Stadtschlaining nur lobende Worte. Ein perfektes Beispiel hierfür ist der Umgang mit dem baukulturellen Erbe. Dem historischen Stadtzentrum mit seiner teilweise unter Denkmalschutz stehenden Bausubstanz wurde nach einer behutsamen Sanierung neues Leben eingehaucht. Der respektvolle Umgang zeigt sich auch im neu gestalteten Dorfplatz, welcher die Landesstraße in die Gesamtkonzeption miteinschließt.
Es ist deutlich erkennbar, dass der Gemeinde hierbei auch die Erhaltung alter Traditionen sehr wichtig war. So blieb beispielsweise ein typischer Dorfladen bestehen und wurde durch ein modernes Café ergänzt, so dass das Erledigen von Einkäufen und der Kaffeeklatsch verbunden werden können und das Zentrum belebt wird. Diese Belebung ist auch durch die Ansiedlung neuer Geschäfte und Dienstleister im Dorfzentrum gelungen. Auch die Erinnerung an das historische Erbe der Gemeinde wird gepflegt. An die lange Bergbautradition erinnert heute ein Museum. Außerdem war Stadtschlaining früher ein jüdisches „Stettle“ und der Aufarbeitung der Geschichte wird ein hoher Stellenwert beigemessen. In der früheren Synagoge befindet sich heute ein Museum inklusive Bibliothek. Die Zusammenarbeit mit den Nachkommen der jüdischen Gemeinde Stadtschlainings und deren Einbindung stehen hierbei im Vordergrund.
Neben den Restaurierungen und Revitalisierungen alter Gebäude setzt man in Stadtschlaining aber selbstverständlich auch auf moderne und energieeffiziente Baukultur. Hierbei ist vor allem die neue Volksschule hervorzuheben, die nach einem Wettbewerb im Zentrum erbaut wurde. Neben den Gestaltungsaspekten und dem pädagogischen Konzept wurde vor allem auf die innerörtliche Anbindung und fußläufige Erreichbarkeit geachtet.
Doch nicht nur die Maßnahmen zur Erhaltung des kulturellen Erbes Stadtschlainings sind hervorzuheben, sondern auch der Aufwand, der für den Umweltschutz betrieben wird. Stadtschlaining ist nicht nur eine Genussregion, sondern auch Teil des NATURA 2000 Naturschutzgebietes. Grundsätzlich wird beim Bau mit Grund und Boden sparsam umgegangen und es wird auf eine möglichst ökologische Umsetzung geachtet, von der zum Beispiel die Hufeisennasen-Fledermäuse profitieren. Deren Population und Lebensraum wird in Stadtschlaining geschützt und gefördert. Die Implementation von Strategien des sanften Tourismus, die Projekte zum Schutz von Wald- und Wiesenflächen, der geförderte Umgang mit erneuerbaren Energien, ein größtmöglicher Verzicht auf Gas und Öl und eine allgemeine Umstellung auf LED-Lampen in öffentlichen Gebäuden und bei der Straßenbeleuchtung sind ausschlaggebende Faktoren dafür, dass Stadtschlaining sich berechtigterweise als Klimaschutzgemeinde bezeichnen darf.
Das Motto des Dorferneuerungspreises 2022 lautet „Brücken bauen“, was in Stadtschlaining in vieler Hinsicht beherzt umgesetzt wird. Brücken zwischen Alt und Neu, aber auch Alt und Jung, zwischen Nationalitäten und Religionen, der Natur und den Menschen, der Vergangenheit, Gegenwart und der Zukunft werden in Stadtschlaining tagtäglich geplant, gebaut und gestärkt. Die Gemeinde bietet ihren BewohnerInnen nicht nur einen Wohnort, sondern ein Zuhause. Durch das vielfältige Angebot, das sich an alle Bevölkerungsgruppen richtet, durch die durchdachte Gestaltung des Ortes und die Bewahrung seiner Geschichte und Traditionen, durch den Schutz der Umgebung, durch die Stärkung der Gemeinschaft, der Solidarität und nicht zuletzt auch durch die Stärkung derer, die darauf angewiesen sind, hebt sich Stadtschlaining von anderen Gemeinden ab und dient nicht nur aus der Perspektive der Dorferneuerung als ein absolutes Vorbild. Eine außergewöhnliche Gemeinde, die anhand ihrer behutsam ausgearbeiteten Strategien, dem respektvollen Umgang mit Altem und der durchdachten Planung von Neuem von sich überzeugen konnte.
Evaluiert: 2022