Setomaa, Estland
Setomaa liegt im äußersten Südosten von Estland, die Gemeindestraßen führen zum Teil über russisches Territorium. Die rund 3.200 EinwohnerInnen leben in 156 Dörfern und Weiler-artigen Siedlungen. Die Gemeinde Setomaa ist im Jahr 2017 aus einer Fusionierung von vier ehemaligen Gemeinden hervorgegangen, die die eigenständige ethnische Bevölkerungsgruppe der Setos samt eigener Sprache und eigener Kultur auf estnischer Seite beheimaten. Das gesamte Seto-Territorium, das sich auch auf russisches Staatsgebiet erstreckt, ist seit 1991 zerschnitten.
Die Lage der Gemeinde am Rande der Europäischen Union hat die Entwicklung von Setomaa zunächst stark negativ beeinflusst, vor allem die junge Bevölkerung hat die Region verlassen. Vor diesem Hintergrund wurde ab dem Jahr 2005 stufenweise begonnen, gezielte Impulse zur Stärkung und Attraktivierung der Region zu setzen, seit 2008 folgt man dabei einem Entwicklungsplan, der strategische Rahmenbedingungen vorgibt und Ziele festschreibt, die Schritt für Schritt umgesetzt und erweitert werden.
Zentrale Festlegungen sind die Besinnung und Erhaltung der eigenständigen Kultur der Setos und die Rückholung junger Menschen in die Gemeinde. Sprache, Kultur und religiöse Prägung sind ein Alleinstellungsmerkmal, das verstärkt wieder in der Gesellschaft verankert wird. Die einzigartige Tradition wird als Kraftspende und Stütze, aber nicht als starres Konzept gesehen und gelebt. Parallel zu den Aktivitäten im Bereich der ethnischen Traditionen wurde ein gezieltes Förderungsprogramm für junge Menschen entwickelt, um die Ansiedlung in Setomaa besonders attraktiv zu machen.
Anstrengungen wurden auch im Bereich der Wirtschaftsförderung unternommen, die insbesondere durch die Etablierung einer eigenständigen regionalen Marke die Möglichkeit bietet, regionale Wertschöpfung unter dem Schutz der Dachmarke zu erzielen, wobei besonderes Augenmerk auf ein innovatives, kleinstrukturiertes Gewerbe einerseits und den Tourismus andererseits gelegt wird.
Auffällig ist, dass bei allen Maßnahmen eine ständige Balance zwischen Ökologie und Ökonomie als Maxime gilt. Die Landwirtschaft wird großteils biologisch betrieben. Dabei wird auf neue Nischenprodukte gesetzt, die sich für den Anbau auf den sumpfigen Böden eignen. Auch wird auf die Etablierung eines qualitätsorientierten, ökologisch wie auch sozial verträglichen Tourismus gesetzt, der vor allem auf der Sanierung der traditionellen Gehöfte und deren Umfunktionierung in Beherbergungsbetriebe beruht. In Zusammenarbeit mit Universitäten wird auch die verstärkte Verwendung des Heilschlammes aus den örtlichen Sümpfen im „Sanatorium“, einem der Leitbetriebe der Gemeinde, umgesetzt. Energetisch wird neben der Verbesserung der Energiestandards vor allem auf Geothermie und Photovoltaik gesetzt.
Bemerkenswert sind das Angebot an Betreuungseinrichtungen und das Bildungssystem: Die Gemeinde verfügt über vier Kindergärten, einer davon in Seto geführt, mehrere Krippen mit langen Öffnungszeiten, mehrere Gesamtschulen sowie eine weiterführende Schule zur Erlangung der Hochschulreife. Sämtliche Schulen werden als Ganztagesschulen mit einem vielfältigen Angebot an ergänzender Ausbildung bzw. Freizeitgestaltung geführt. Die Kantinen werden mit regionalen, biologisch hergestellten landwirtschaftlichen Produkten versorgt. Die Gemeinde bietet eine Reihe sozialer, teils mobiler Angebote für die unterschiedlichen Altersgruppen, darunter vier gemeindeeigene Pflegeheime.
Neben lokalen Maßnahmen und Projekten ist die Vielzahl an grenzübergreifenden Aktivitäten, insbesondere mit Lettland und Russland, positiv hervorzustreichen. Herausragend ist ein mehrstufiges Projekt mit der ebenfalls von Setos bewohnten russischen Region Pskow, bei dem es vor allem um die Schaffung von gemeinsam genutzten landwirtschaftlichen bzw. der Landwirtschaft nachgelagerten Infrastrukturen zur Veredelung und Direktvermarktung geht. So wurde etwa ein ehemaliges Stallgebäude aus kollektivierter Landwirtschaft in ein modernes Kühlhaus umgebaut.
Eine besondere Qualität von Setomaa liegt in der kleinstrukturierten Landschaft mit Äckern und Fluren, Waldgebieten, Mooren sowie Uferzonen im Bereich des Peipusees, dem fünftgrößten Süßwassersee Europas. Dieser überdurchschnittlichen landschaftlichen Qualität ist man sich als besonders wertvolles Kapital der Marke „Setomaa“ bewusst, weshalb auf deren Erhalt größte Rücksicht genommen wird. Auch ist man bestrebt, die kulturelle Einzigartigkeit der Setos nicht nur zu erhalten, sondern in Kombination mit der landschaftlichen Ressource touristisch zu nutzen. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Etablierung des Tourismus als trendige Form der Entschleunigung in einem Umfeld von außergewöhnlicher Kultur und gesunder Natur. Dazu dient auch der infrastrukturelle Ausbau mehrerer See-Häfen zur Etablierung diverser Wassersportarten.
Bemerkenswert ist schließlich das Zusammenspiel der verschiedenen politischen und kulturellen Gremien, der Wirtschaft, der Bildungseinrichtungen und der Vereine, das durch monatliche Treffen gewährleistet wird. Die bisherigen Entwicklungserfolge zeigen, dass Setomaa trotz seiner schwierigen Geschichte und geopolitischen Lage einen zukunftsfähigen Weg eingeschlagen hat – mit lokalen Antworten auf globale Herausforderungen.
Evaluiert: 2020