Perasdorf, Bayern, Deutschland
Die Gemeinde Perasdorf erlebte in den vergangenen Jahrzehnten die Auswirkungen einer gesellschaftlichen Entwicklung, deren Paradigmen der Globalisierung und Urbanisierung die Bevölkerung in die Städte und Metropolen zog und den Wert des ländlichen Raumes ausschließlich in den bereitstellenden Dienstleistungen wie der Produktion von Nahrungsmitteln und Holz gesehen hat. Die anhaltende Abwanderung und das Schrumpfen der Zahl der Einwohnenden, die auf 42 verschiedene Standorte im Gemeindegebiet verteilt sind, hat die Verantwortlichen bereits Anfang der 2000er-Jahre dazu veranlasst, Überlegungen zur Dorferneuerung anzustellen.
Im Jahr 2004 wurden ein breit angelegter „Nachhaltigkeits-Check“ durchgeführt und auf Grundlage der Ergebnisse einer Bürger:innenbefragung Ziele und Maßnahmenkonzepte entwickelt. Der Wert des Naturparks und der kleinteiligen Kulturlandschaft mit ihren verschiedenen Ökosystemleistungen wurde erkannt und in verschiedenen Projekten thematisiert. Um maßgeschneiderte Lösungen für die identifizierten Probleme zu erhalten, wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Arbeitskreise ins Leben gerufen, an denen insgesamt 20 Prozent der Einwohnenden aktiv teilgenommen haben. Zunächst wurde die Infrastruktur in Angriff genommen, um damit ein deutliches Signal dafür zu setzen, dass die Probleme der Bürger:innen ernst genommen und auch gelöst werden können. So wurden beispielsweise 13 Hofstellen erschlossen, die zuvor nur auf unbefestigten Wegen erreichbar waren.
Nach der Bearbeitung der „harten“ Standortfaktoren wurde der Fokus auf die „weichen“ Faktoren gelegt. Themen wie Dorfidentität, Kultur, (Neben-) Einkommen, regionale Produkte, Kommunikationsplattformen, Energie und Landschaftserhalt sowie die Belebung der Dorfmitte wurden diskutiert. Erste Projekte wie der Bau einer Holzkegelbahn und die Herausgabe eines Heimatbüchleins wurden realisiert, ehe mit dem Umbau des ehemaligen Schulgebäudes in ein Gemeinschaftshaus eine neue Dorfmitte geschaffen wurde, die Begegnungsort für alle Generationen ist.
In Perasdorf wurde erkannt, dass die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde in der Existenz hinreichender Möglichkeiten für individuelle Wertschöpfung und im gesellschaftlichen Engagement liegt und die Gemeinde engagiert sich in diesem Sinne für das Gemeinwohl ihrer Bürger:innen.
Nachdem die Gemeinde mit der Auflassung der Schule eine wesentliche Funktion verloren hatte, beschloss sie – im Einklang mit den im Beteiligungsprozess erarbeiteten Ideen – die Umgestaltung der alten Schule zu einem modernen Bürgerhaus. Die Aufteilung des Gebäudes und der Außenbereiche ermöglicht vielfältige Nutzungen, die die Dorfmitte mit Leben erfüllen. Dazu gehören ein Multifunktionsraum für Versammlungen und Kurse, ein Dorfladen mit Tauschbörse, eine Küche und eine Gaststube. Zudem gibt es eine Freifläche für sommerliche Aktivitäten. Im Obergeschoss finden eine Eltern-Kind-Gruppe, weitere Kurse und das Landjugendheim Platz. Das Dachgeschoss beherbergt eine Bücherei und einen Musikraum. Das gesamte Bürgerhaus ist barrierefrei mit einem Aufzug erschlossen, um allen Bürger:innen uneingeschränkten Zugang zu gewähren. Das Vorhandensein des Bürgerhauses hat zahlreiche ehrenamtliche Initiativen wie beispielsweise ein wöchentliches Senioren-Café stimuliert.
Der vorgelagerte Dorfplatz wurde zu einem lebendigen Zentrum und bietet einen Festplatz, einen Infopoint mit digitaler Amtstafel, öffentliche Toiletten, einen Multifunktionsschuppen und einen Kräutergarten. Die Vorbereitung für eine E-Ladesäule und kostenloses Internet für alle im Bereich des Dorfplatzes unterstreichen dessen zeitgemäße Ausrichtung. In einem multifunktionalen Gebäude am Dorfplatz, das auch die Feuerwehr nutzt, wurde eine erweiterbare Nahwärmeversorgung integriert, was auch für ein ausgeprägtes Umwelt- und Energiebewusstsein spricht.
Im Rahmen eines Zukunftsprojektes begaben sich Bürger:innen mit professioneller Begleitung von Ende 2022 bis Jänner 2024 auf die Suche nach Wertschöpfungspotenzialen im ländlichen Raum. Entsprechend der Vision, nachhaltige Einkommensmodelle zu entwickeln, die weiten Teilen der Bevölkerung eine solide ökonomische Basis sichern und damit der Landflucht entgegenwirken, wurde eine fundierte Zusammenstellung von Thesen zum Thema Wertschöpfungspotenziale im ländlichen Raum erarbeitet. Diese soll als Orientierungshilfe für die Lebensplanung ebenso wie als Leitfaden für eine Energiewende und nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsmodelle dienen.
Man identifizierte Energie, Regionale Produkte/Tourismus und Innovation/Kreativität als die drei Wertschöpfungssäulen, deren Basis die Landschaft ist, betrachtete dabei Wertschöpfung im Hinblick auf Ganzheitlichkeit, Konsistenz und Integrierbarkeit einzelner Elemente und beschrieb Lösungen. Großer Wert wurde auf die Vernetzung mit anderen Initiativen und die Zusammenarbeit mit Behörden sowie regionaler Wirtschaft und Industrie gelegt.
Das Ergebnis ist eine Art Baukastensystem für Wertschöpfungsprojekte, das sukzessive mit weiteren Bausteinen befüllt und Bürger:innen wie auch anderen Kommunen zugängig gemacht werden kann. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurden erste private, kommunale und regionale Projekte – Umstieg auf nachhaltige Energiesysteme, regionale Lebensmittelerzeugung, Landschaftspflege, Bürgerhilfe, kulturelles und landschaftliches Erbe – angegangen.
Evaluiert: 2024