Oberndorf, Niedersachsen, Germany
Die etwa 1.350 EinwohnerInnen zählende Gemeinde Oberndorf liegt ganz im Norden Deutschlands im niedersächsischen Landkreis Cuxhaven unweit der Elbe-Mündung zwischen den Städten Hamburg und Cuxhaven. Der Ort zieht sich beiderseits entlang des naturnahen Flusses Oste. Durch eine Klappbrücke sind die beiden Siedlungen miteinander verbunden. Die Höhenlage nur einen Meter über dem Meeresspiegel beeinflusst den Ort und die Landschaft, die durch den Ostedeich, der dem Hochwasserschutz dient, und zahlreiche Entwässerungsgräben geprägt ist.
Oberndorf startete 2010 mit einem neuen Dorfentwicklungsprozess, dessen Ziel nicht allein die Umsetzung von Infrastrukturprojekten war. Vielmehr wollte man neue Methoden erproben, die das Dorf und das Gemeinwesen für die Zukunft fit und widerstandsfähig machen sollten. Dabei wurde auf einen radikal partizipativen Ansatz mit vielen Workshops gesetzt, die von ExpertInnen begleitet wurden. Auf diese Weise wurden in verschiedenen Themenbereichen – insbesondere in der Innenentwicklung, hinsichtlich der lokalen Ökonomie, in der Landwirtschaft, im Tourismus und im Sozialbereich – innovative und kreative Lösungsansätze entwickelt. Dabei wurde deutlich, dass die Gemeinde Konzepte entwickeln muss, die dem Dorf dauerhaft Resilienz und Stabilität geben.
Die Stärkung der Gemeinschaft steht bei allen Maßnahmen im Mittelpunkt. Mit den „Basis-Projekten“ wie der Etablierung des „Forum“ als monatliches Treffen von Akteurinnen und Akteuren als zentrale Schnittstelle des Entwicklungsprozesses, eines Informationscafés und dem Aufbau der Website wurden Konzepte entwickelt, die das Engagement und den regelmäßigen Austausch von Informationen langfristig etablieren. Das Restaurant „Kombüse 53°Nord“ wiederum ist räumlicher Treffpunkt, Zentrum des Austauschs und gewissermaßen das „Wohnzimmer“ der GemeindebürgerInnen. Es wurde 2013 im leerstehenden ehemaligen Dorfgemeinschaftshaus von aktiven BürgerInnen eingerichtet und fungiert auch als Ort, in dem kulturelle Highlights für Gäste aus dem Ort und aus der Region organisiert werden.
Zur Unterstützung der Energiewende und mit dem Ziel, durch ökologische und gleichzeitig risikoarme Projekte auch Geld zur Reinfinanzierung von Dorfprojekten zu generieren, wurde 2012 die Genossenschaft „Die Oberndorfer eG“ gegründet, der bereits bei ihrer Gründung 180 BürgerInnen angehörten und die erfolgreich drei PV-Anlagen in Betrieb genommen hat. Mit den Dividenden wurden weitere Projekte gefördert, etwa das Sozialprojekt Kiwitte, ein pädagogisch hochwertiges und kostenloses Nachmittagsprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Zum offenen und niederschwelligen Treffen lädt das Projekt „Hallo Nachbar!“ ein. Ziel ist es, NeubürgerInnen schnell zu integrieren, Kontakte aufzubauen und die Dorfgemeinschaft regelmäßig zusammenzubringen. Die Treffen finden im Freien statt, es gibt ausschließlich Stehplätze, die Dauer beträgt maximal 90 Minuten, es gibt nur drei Getränke zur Wahl und jeder bringt sein eigenes Glas mit.
Im ehemaligen Kolonialwarengeschäft wurde ein interaktives Museum mit einer umfangreichen und beeindruckenden Sammlung von Exponaten geschaffen. Die Geschichte des Ortes kann hier interaktiv erlebt werden. Das Museum erzählt Geschichte durch persönliche Geschichten und gibt unter anderem Einblicke in für den Ort typische Berufe wie den Ziegelbrenner oder den Fährmann.
Zur Förderung der Biodiversität wurden so genannte „Eh-da-Flächen“ geobasiert erfasst, vorhandene Flächen also, die aber keine besondere Nutzung aufweisen. Auf diesen Flächen wurden passende Pflanzen gesetzt, deren Pflege vorerst der Bauhof übernommen hat, für die aber mittelfristig Pflegepatenschaften ausgegeben werden sollen.
Es existiert ein vielfältiges Angebot an Vereinen, für die es eine übergeordnete Plattform gibt, die koordinierend wirkt und große Feste und Events in der Gemeinde inszeniert, beispielsweise den regional bekannten Weihnachtsmarkt. Erwähnenswert ist auch die gute Ausstattung mit Kinderbetreuungseinrichtungen und die freie Schule „LernArt“, die in Reaktion auf die Schließung der örtlichen Grundschule, um deren Erhalt man vergeblich gekämpft hatte, gegründet und im alten Schulgebäude untergebracht wurde. Das innovative pädagogische Konzept legt einen Fokus auf die Stärkung der Gemeinschaft, die unternehmerische Selbstorganisation und die Partizipation.
Die Gemeindeentwicklung in Oberndorf ist vorausschauend, mutig und innovativ, die AkteurInnen nicht nur überaus engagiert, sondern auch lernfähig. Die Offenheit, die ausgeprägte Kultur des Mit- und Füreinanders und der Selbstermächtigung sowie ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit können als tragfähiges Fundament für die Zukunftsfähigkeit des Ortes erachtet werden. Eines Ortes nämlich, dessen Menschen sich als Teil der Welt begreifen, deren Problemen und Herausforderungen sie mit lokalen Antworten begegnen, die Vorbildcharakter haben können.
Evaluiert: 2020