Oberhofen im Inntal, Tirol, Österreich

In Oberhofen im Inntal wird „Dorferneuerung“ in ihrer konkretesten Form gelebt. Durch die Erneuerung von historischen ortbildprägenden Gebäuden und Ensembles hat die Gemeinde eine neue Ortsmitte der Begegnung geschaffen und zugleich Impulse für neue kulturelle Aktivitäten gesetzt. 

Als Zuzugsgemeinde mit Bahnhof mitten im Dorf (seit 2005) und einem halbstündigen S-Bahn-Takt zum 30 km entfernten Innsbruck stand 2016 am Beginn eines umfassenden partizipativen Dorfentwicklungsprozesses die Frage nach der Schaffung ausreichender und zeitgemäßer Kinderbetreuungsplätze. Ausgehend von einer Umfrage unter den Bürger:innen und in alternativen Szenarien wurden in einem Masterplan die langfristige Entwicklung des Dorfzentrums und eine optimale Nutzung der gemeindeeigenen Liegenschaften erarbeitet. In der Folge wurde eine vorbildhafte Ortsinnenentwicklung umgesetzt – mit hoher Strahlkraft im ganzheitlichen Ansatz und im konsequenten Ausschöpfen von Potenzialen im Bestand. Aus einer Scheune entstand ein viel frequentierter und stimmungsvoller Raum für Veranstaltungen und Märkte, aus dem leerstehenden Gasthof „Rimml“ ein zeitgemäßes, barrierefreies Gemeindeamt. Der neue Bildungscampus wird nach seiner Fertigstellung dem Zuzug entsprechend mehr Betreuungsplätze bieten, ermöglicht Kooperationen und Synergien und trägt maßgeblich zum lebendigen Dorf der kurzen Wege bei. 

Zugleich prägt die Landwirtschaft den Ort nach wie vor. Insbesondere der Anbau von Erdäpfeln (Kartoffeln) hat eine lange Tradition, wovon auch das jährlich stattfindende Erdäpfelfest zeugt. Viele Höfe betreiben Direktvermarktung in Hofläden und auch über Online-Plattformen. Typisch sind die alten Bauernhäuser im historischen Straßendorf und die Durchwegung mit kleinen fußläufigen Gassen, die in Privatinitiative und mit Unterstützung von Gemeinde und Land Tirol wertschätzend saniert und ausgebaut wurden.

Die vorausschauende Politik der Vorgängergenerationen insbesondere bezüglich des Bahnanschlusses und die fußläufige Erreichbarkeit aller Einrichtungen wird weitergeführt: im sorgsamen Umgang mit Ressourcen, in sparsamster Baulandneuausweisung, im Erhalt historischer und in der Dorfkultur verankerter Gebäude, in der Schaffung neuer inklusiver Begegnungsorte für alle Generationen und in nachhaltigen Lösungen für Bauen, Energieversorgung und Mobilität. 

Um mehr Kapazitäten in der Kinderbetreuung zu schaffen und dabei nicht kurzfristige Einzellösungen zu verfolgen, startete die Gemeinde Oberhofen im Inntal 2018 einen für Tirol beispielgebenden partizipativen Dorfentwicklungsprozess mit ganzheitlicher und langfristiger Ortsentwicklungsperspektive unter Berücksichtigung aller gemeindeeigenen Liegenschaften. 

Nach fundierter Grundlagenermittlung und von unterschiedlichen Architekt:innenteams in Varianten entwickelten Szenarien startete die Erarbeitung eines Masterplans mit reger Beteiligung der Bürger:innen, professioneller Moderation und enger Begleitung durch Expertisen in Städtebau, Architektur und Denkmalpflege. In konsensualer Ausrichtung wurden die Revitalisierung des historischen Ortskerns, die Integration moderner Anforderungen sowie die Stärkung des Ortes der kurzen Wege und der Dorfgemeinschaft verankert. Auf Basis des Masterplans setzte man in der Folge drei Leitprojekte um. 

Die „Planungsstudie im Dialog“ wurde Pilotprojekt für das neue Programm „Quartiersentwicklung“ der Tiroler Dorferneuerung mit hoher Strahlkraft für andere Gemeinden im ganzheitlichen Ansatz und im konsequenten Ausschöpfen von Potenzialen im Bestand, selbst wenn diese zunächst kaum vorstellbar erschienen. Die Einbindung der Bürgerschaft führte zu einem vertieften Bewusstsein für die Geschichte des Ortes und seiner Gebäude und zu einer großen Identifikation mit den Vorhaben, die sich nun in verstärkter Eigeninitiative zur Mitgestaltung in den revitalisierten Außen- wie Innenräumen zeigt.

Aus dem seit Jahrzehnten leerstehenden und zusehends verfallenden Gasthof Rimml entstand im Zuge der Neuaufteilung der öffentlichen Einrichtungen in den gemeindeeigenen Liegenschaften von Oberhofen im Inntal ein zeitgemäßes Gemeindeamt mit integrierter, barrierefreier Erschließung bis in den Dachstuhl. Gemeinsam mit dem neugestalteten Gastgarten samt historischer Freiluftkegelbahn und Pavillon bildet das seit Jahrhunderten ortsbildprägende Gebäude nun wieder einen lebendigen Treffpunkt für alle Generationen. Ein Leerstand wird zum Leuchtturm und regt wie in einem Domino-Effekt weitere Revitalisierungen auch im privaten Engagement im Dorfzentrum an. 

Im Vergleich zu einem Neubau konnten wertvolle Bausubstanz und „graue Energie“ als wichtiger ökologischer, aber auch die „goldene Energie“ als kultureller Beitrag erhalten werden. So werden die Teeküche unterm Gewölbe oder das barrierefreie WC mit freigelegten Wandmalereien an konkaven Wänden zu einmaligen Raumerlebnissen. Die Sanierung mit ökologischen Materialien als Dämmung (Zellulose, Glasschaum), die thermische Ertüchtigung der alten Fenster, das Auffangen aller Dachwässer in einer Versickerungsanlage, das Beheizen mit Biomasse aus gemeindeeigener Fernwärme und offenporige Bodenbeläge in den Freianlagen beweisen die ganzheitlichen Bemühungen um Nachhaltigkeit. Auszeichnungen wie die Nominierung für den Österreichischen ZV-Bauherr:innenpreis 2023, die Denkmalschutzmedaille 2023 der Republik Österreich sowie der Tiroler Sanierungspreis 2024 honorieren den behutsamen wie zukunftsweisenden Umgang mit alter Bausubstanz.

Die hinsichtlich Mittel und Wirkung vielleicht überzeugendste Metamorphose im Gebäudebestand der Gemeinde Oberhofen im Inntal erlebte der – vormals der örtlichen Gastwirtschaft angeschlossene – stattliche Rimml-Stadel, der im Zuge eines Dorferneuerungsprojektes zum Kulturstadel umfunktioniert wurde. Es handelte sich dabei um eine Idee, die aus einem partizipativen Dorfentwicklungsprozess hervorging. Das Projekt stieß daher von Anfang an auf besonders großes Interesse seitens der Einwohnenden.

Unter Verwendung der originalen Holzelemente und mit wenigen, fein austarierten zeitgenössischen Zutaten in Stahl und Beton für den Treppen- und Sanitäranlagenkern wurde der Stadel zu einem eindrucksvollen Veranstaltungsraum umgestaltet. Die ehemaligen, im gemauerten Sockel befindlichen Stallungen werden zu einem künftigen Heimatmuseum umgestaltet. Der ursprüngliche Charakter der Scheune als gedeckter Kaltraum blieb erhalten und bietet nun einen viel frequentierten und durch das Lichtspiel der Fassadenbretter und das mächtige Gebälk einzigartig gestimmten Raum für unterschiedlichste private und öffentliche Veranstaltungen wie Feste, Konzerte, Theater und Märkte und wird bei Schlechtwetter häufig auch als Ausweichort von Freiluft-Events gewählt. 

Bei diesem Projekt zeigt sich auch, dass „weniger“ oft tatsächlich „mehr“ sein kann: Auf eine Beheizbarkeit des Rimml-Stadls wurde sowohl aus ökologischen als auch aus finanziellen Überlegungen bewusst verzichtet. So ist dies nun ein „geschenkter“ Kultur- und Versammlungsraum, dessen volle Nutzbarkeit und Wirksamkeit sich noch entfalten kann und die Spürbarkeit der Witterung als Teil des Nutzungskonzepts brauchbar machen wird. Es wäre wünschenswert, wenn mit diesem Angebot künftige öffentliche Raumprogramme an anderen Orten im Dorf knapper gefasst werden könnten, um in der Gesamtschau auch die volle Ressourceneffizienz ausschöpfen zu können. Insgesamt zeigt das Projekt: Ein einmal in Gang gesetzter positiver Prozess entwickelt eine vielversprechende Eigendynamik. Dies zeigt sich beispielsweise bereits in der Gründung des Vereins „Kulturgröstl“ durch Kulturbegeisterte der Gemeinde, zu der das bloße Vorhandensein eines adäquaten Veranstaltungsortes motivierte. Dieser Verein organisiert Kulturveranstaltungen für alle Alters- und Zielgruppen, gibt einen digitalen Veranstaltungskalender heraus und bereichert auf diese Weise das kulturelle und sozio-kulturelle Leben in Oberhofen im Inntal.

Evaluiert: 2024

Beate Schrank