Kostelní Lhota, Mittelböhmen, Tschechische Republik
Die „Lust auf Zukunft“ ist Inbegriff für Kostelní Lhota. Bürgermeister, Gemeinderat, Vereine, unzählige engagierte Einwohnende gestalten ihre und die Zukunft ihrer Region durch konsensgetragene, breiter Diskussion unterzogene Projektentwicklungen aus Analysen, Ideensammlungen und Meinungsabfragen, verstärkt durch Fachleute aus Hochschulen und europäischen Netzwerken. Dies oft auch im Wissen, dass manche Projekte heute noch nicht umgesetzt werden können oder erst weiterentwickelt werden müssen, bis sie finanzierbar sind und nachhaltige Erfolge versprechen. Die seit Jahren betriebene Politik der kleinen klugen Schritte mit großer Wirkung und das hochmoderne, bürgernahe Gemeindemanagement können Motivation und Vorbild für viele Dörfer Europas sein.
Die Dorfgemeinschaft lebt nach zeitgemäßen Vorstellungen die Themen Ökologie, Ressourcenschutz, Wertschöpfung, Baukultur, Bildung, Kultur und Sport. Das Hochwasser 2013 und die Dürren der letzten Jahre haben die Bewohnenden für eine nachhaltige Dorfentwicklung sensibilisiert. Die Etablierung radikal ökologischer Standards in Freiräumen und bestehenden Gebäuden mit erneuerbaren Energien und Wasserhaltebecken für Regenwasser sind Ausdruck dieser Haltung. Durch Sanierungen und Revitalisierungen ist nahe des Dorfteichs ein neues, einladendes Dorfzentrum entstanden. Das Bewusstsein für und die zukunftsweisende Pflege der Alleen und Grünräume sichert den Charakter des Angerdorfes in enger Verknüpfung von traditionellen Siedlungstypologien, Umbauten und Neubauten. Ein umfassendes Landschaftskonzept der TU Prag setzt die Richtlinien für wassersensible Klimaanpassungsmaßnahmen auch für die umliegende Landschaft. Renaturierungen und Baumpflanzungen sind eindrücklich dokumentierte Zeichen der Transformation.
Die Gemeinde liegt im Speckgürtel des 45 km entfernten Prag, was in steigenden Immobilienpreisen und Zuzug deutlich wird. Die Verantwortlichen haben die daraus entstehenden Herausforderungen klar erkannt und versuchen, in einem regulierten Wachsen durch Innenentwicklung und in begrenztem Maß durch Neuausweisungen neue Wohn- und Lebensformen für Alt und Jung zu ermöglichen. Vor allem die geforderte und erfolgte Sperrung der Straße für den Schwerlastverkehr und die Errichtung eines in regionale wie internationale Netz eingebundenen Radwegs haben die Lebensqualität erhöht. Zudem gelingt es, Traditionen zeitgemäß zu interpretieren und als Kraft für ein in die Zukunft gerichtetes Handeln zu nutzen.
Kostelní Lhota hat in der Revitalisierung für den Ort identitätsgebender Bausubstanz eine neue Dorfmitte geschaffen. Die Zahl der aktiven Katholik:innen ist zwar gering, dennoch ergaben die in einen Strategieprozess eingebundenen Meinungsabfragen und Ideensammlungen einen prioritären Wunsch der Bevölkerung: die Renovierung von Kirche und Pfarrhaus. Bemerkenswert ist, dass die Kirche nicht nur als wichtiges Identifikationssymbol fungiert, sondern durch die Renovierung 2018 bis 2020 auch eine zeitgemäße Funktion als multifunktionaler Begegnungsraum mit Glocken und renovierter ebenfalls renovierter Orgel erhalten hat, in dem neben religiösen Feiern auch laizistische Veranstaltungen in bedeutendem Maße stattfinden.
In der neuen Mitte liegen neben Kirche und dem zum Gemeindehaus umfunktionierten Pfarrhaus auch die Schule mit einem modernen Anbau, ein Teich, das Feuerwehrgebäude und ein Gemeindezentrum mit Bücherei. Die kaum versiegelte Dorfmitte geht nahtlos in eine alte Lindenallee über, die so wie mehrere andere Alleen zukunftsgerichtet gepflegt wird und gemeinsam mit weiteren Grünflächen im und um das Angerdorf traditionelle Siedlungstypologien, Umbauten und Neubauten in ein Gesamtgefüge einbinden.
Bei Umnutzungen und Sanierungen wurden hohe ökologische Standards wie der Einsatz erneuerbarer Energien, Wärmerückgewinnung oder Regenwasserhaltebecken berücksichtigt,. Schließlich gelingt es auch, generell das Gespür für erhaltenswerte Bausubstanz zu stärken, was zu weiteren Projekten in diesem Bereich auch von und mit Privatleuten geführt hat.
Als Folge der Vorgaben der Europäischen Union und in zukunftsweisender Perspektive hat Kostelní Lhota 2016 ein umweltgerechtes Müllmanagement mit der Vision „Zero-Waste-Production“ eingeführt. Die Gemeinde hat einen Wertstoffhof eingerichtet, über den sortierter Restmüll, Sondermüll und Baustoffe einer Neuverwendung zugeführt werden, und gleichzeitig ein RE-USE-Zentrum gegründet, das als Second-Hand-Tauschstation für die Region seit Jahren als Leuchtturmprojekt gilt, zumal alle Objekte mittels QR-Code erfasst und auf der Gemeinde-Website sichtbar sind.
Weiters wurde eine umweltgerechte Mobilität als essenziell erkannt. Zu Beginn des Entwicklungsprozesses verlief der Schwerlastverkehr mitten durchs Dorf, es gab keine Radverbindung zur nächstliegenden Kleinstadt. In Zusammenarbeit mit und unter finanzieller Beteiligung der Anliegergemeinden wurde daher der Radweg Poděbrady-Kostelní Lhota-Sadská als zusätzliche Schleife zum Elbtalradweg gebaut, der mittlerweile von Einheimischen wie auch Tourist:innen stark genutzt wird. Er ist – energiesparend und unter Berücksichtigung einer geringen Lichtverschmutzung – beleuchtet und wird deshalb bis in die Nacht befahren.
Um die touristische Attraktivität zu erhöhen, wird derzeit die Freilegung einer Mineralwasserquelle samt einer Holzskulptur als Schutzdach projektiert. Parallel wurde in ebenso erfolgreicher Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden bei den Behörden ein Lkw-Fahrverbot erwirkt, was zu einer Verkehrsberuhigung und höherer Lebensqualität geführt hat.
Seit 20 Jahren ist die Landschaftsplanung wesentlicher Bestandteil der Zukunftsplanung in Kostelní Lhota. Unter Fachberatung der TU Prag hat die Gemeinde ein umfassendes, strategisches Landschaftskonzept erarbeiten lassen. Daraus folgende Bepflanzungen und deren Pflege werden mit den Bürger:innen zusammen umgesetzt: Kinder pflanzten eine Obstallee, die 1989-Geborenen eine Freiheitsallee und alle abgehenden Schüler:innen je einen Baum im „Grünen Ring“, wodurch allmählich eine natürliche Waldbarriere zur Autobahn hin entsteht. Wert wird dabei genauso wie bei sämtlichen Grünflächen auf die Wahl klimaresilienter Bäume und Pflanzen gelegt.
Teil des Landschaftskonzeptes ist auch das Wassermanagement, u.a. die Renaturierung von Feuerlöschteichen und des am Dorf vorbeifließenden Baches, die Anpassung des Hochwasserschutzes sowie die Renaturierung von Wassergräben auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Hier gelingen bemerkenswerte Maßnahmen, die auf konsensorientierter Kooperation von Gemeinde, landwirtschaftlichen Betriebe und Bürgerschaft beruhen.
Auf den Siedlungsdruck hat der Ort durch eine angepasste und nur sehr vorsichtige Ausweisung von Bauland entlang der rückwärtigen Wirtschaftswege des Angerdorfes reagiert. Hierbei wurden ökologische und siedlungstypologische Maßstäbe berücksichtigt, Verkleinerungen der Parzellen werden diskutiert. Neue, auch gemeinschaftliche Lebensformen für Jung und Alt entstehen wiederum durch innerörtliche Umnutzungen und Verdichtungen mit ansprechenden Architekturkonzepten.
Mit dem in einem Leerstand äußerst ressourcenschonend wie zeitgemäß errichteten Gemeinschaftszentrum samt Bücherei wurde ein wichtiger sozialer Treffpunkt geschaffen, der das Zusammenleben der Menschen stark beflügelt. Der digitale Veranstaltungskalender ist prall gefüllt mit Programmen für alle Generationen. Die mit beeindruckenden pädagogischen Konzepten geführte Schule und der Kindergarten sind weitere Zentren des sozialen Lebens, die bei Bedarf auch eigenständig und anderweitig genutzt werden.
Insbesondere Naturkatastrophen wie Hochwasser und Dürren haben die Einwohnenden dafür sensibilisiert, dass für die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde die richtigen Maßnahmen in der Gegenwart entscheidend sind. Die Gemeindeverantwortlichen nützen dieses Bewusstsein und schaffen gezielte Mitsprachemöglichkeiten. Gleichzeitig sind infolge dieser Lust auf die Gestaltung der Zukunft in den letzten Jahren zahlreiche neue Vereine entstanden, die das Zusammenleben stärken, die von der Gemeinde geschaffenen Begegnungsräume bespielen und beleben und eine Reihe von kleineren und größeren Projekten unter großem ehrenamtlichen Engagement umsetzen, regionale Feste organisieren und Wertschöpfung ermöglichen. Es gelingt schließlich auch, identitätstiftende Traditionen zeitgemäß zu interpretieren. Und auffallend ist schließlich die in der Bevölkerung verankerte Haltung, dass es für unfinanzierbare große Wünsche oft entweder kreative kleine Lösungen gibt oder Projekte in Kooperation mit Nachbargemeinden zu Synergien führen und neue Finanzierungsoptionen eröffnen.
Evaluiert: 2024