Hofheimer Land, Bayern, Deutschland
„Gemeinsam sind wir stärker“ – unter diesem Motto bündelt der interkommunale Verbund aus sieben Kommunen als Allianz Hofheimer Land e.V. seit 2008 erfolgreich seine Kräfte. Die Gemeinden Aidhausen, Bundorf, Ermershausen und Riedbach, die Marktgemeinden Burgpreppach und Maroldsweisach sowie die Stadt Hofheim, die miteinander rund 15.000 EinwohnerInnen zählen und aus 53 Dörfern bestehen, legten mit der freiwilligen Zusammenarbeit den Grundstein für eine beispielhafte Entwicklung, die für Europas ländliche Räume richtungsweisend sein kann. Die Gemeinden der Allianz liegen in den unterfränkischen Haßbergen, direkt an der bayerisch-thüringischen Grenze im Städtedreieck zwischen Bamberg, Coburg und Schweinfurt. Würzburg liegt als Mittelzentrum rund 60 Kilometer entfernt.
Die Ausgangssituation zu Beginn des Prozesses war von einer Reihe schwieriger Rahmenbedingungen geprägt, die überwunden werden sollten. Schnell reifte die Erkenntnis, dass die enormen strukturellen Probleme, die aus der jahrzehntelangen Randlage im so genannten „Zonenrandgebiet“ zu Thüringen und damit zur damaligen DDR resultierten, einhergehend mit massiven Gebäudeleerständen und dem Wegfall von sozialen und sonstigen Infrastrukturen in den Ortsmitten, nur gemeinsam und nicht im ruinösen Wettbewerb der Gemeinden untereinander bewältigt werden können.
Mit dem Schwerpunkt Ortskernrevitalisierung und einer systematischen baulichen, funktionalen und sozialen Innenentwicklung wurden die Entwicklungsziele im integrierten ländlichen Entwicklungskonzept klar formuliert. Die Erhebung des Gebäudeleerstands in allen Allianzkommunen, ein eigenes Förderprogramm für die Nutzung der vorhandenen Bausubstanz, die kostenlose Erstberatung durch Architekt-Innen sowie eine Online-Immobilienbörse waren wichtige erste und schnell wirksame Maßnahmen. Bis heute konnten über 340 Leerstände durch hochwertige Sanierungen wieder reaktiviert werden und so nicht nur zu eindrucksvollen Ortskernbelebungen, sondern auch zu einer Einsparung von rund 45 Hektar Fläche, die sonst für Neubaugebiete umgewidmet worden wären, beitragen.
Der vorbildliche Umgang mit der Ressource Boden, im Zuge dessen man sich auch nicht scheute, bereits ausgewiesenes Bauland wieder zurückzunehmen, wird als wesentlicher Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung der Region gesehen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die systematische Einbindung der lokalen Handwerks- und Architekturbetriebe bei der Sanierung der bestehenden Gebäudesubstanz, die eine innere Logik zur Kampagne „Ich lass die Kohle im Dorf“ aufweist, sowie die Tatsache, dass Gebäuderevitalisierungen auch zur Schaffung von sozialem Wohnraum und zur Etablierung neuer Wohnformen genützt wurden.
Unverzichtbarer Baustein im erfolgreichen Entwicklungsprozess war und ist die Einbindung der BürgerInnen und ihre Weiterbildung zu Fragen von nachhaltigen Entwicklungsprozessen. In Zukunftswerkstätten wird deshalb kontinuierlich das Bewusstsein für die nötige konsequente Innenentwicklung bei der Bevölkerung geschärft und nach gemeinsamen Realisierungsmöglichkeiten gesucht. Das hohe Verantwortungsbewusstsein der BürgerInnen zeigt sich im enormen ehrenamtlichen Einsatz und den freiwilligen Leistungen der Dorfgemeinschaften und Privatpersonen sowie im Bereich der Integrationsarbeit. Ohne sie wäre die Umsetzung zahlreicher Maßnahmen für die finanzschwachen Kommunen nicht möglich. Beispielhaft seien hier die 22 miteinander vernetzten Dorfgemeinschaftshäuser genannt, die nicht nur als Ideenschmieden fungieren, sondern vielfältige, für das soziale Dorfleben und die Integration wichtige Funktionen beinhalten, zu denen unter anderem auch Co-Working-Spaces und Repair-Cafés gehören.
Zahlreiche Maßnahmen dokumentieren zudem die wegweisenden Aktivitäten hinsichtlich des Mottos des Wettbewerbs „Lokale Antworten auf globale Herausforderungen“. Die Aktion „Grünes Klassenzimmer“ (Umweltbildung in Kooperation mit der Forstverwaltung und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald) zählt ebenso dazu wie die nachhaltige Waldbewirtschaftung der Kommunal- und Privatwälder (PEFC-Zertifizierung), die vielfach erst durch den von der Allianz angeregten freiwilligen Landtausch zahlreicher WaldbesitzerInnen möglich wurde, der Gewässerschutz durch eine flächendeckend deutlich reduzierte Düngung in Agrarflächen, die Neuanlage von Waldbiotopen sowie die Verknüpfung von Landwirtschaft mit erneuerbarer Energieerzeugung, mit der man einerseits lokale Wertschöpfungsketten schaffen und gleichzeitig den CO2-Ausstoß der Gemeinden deutlich reduzieren konnte. Auch der Umbau der Kläranlage, um hier zusätzliche Energie gewinnen zu können, darf als Musterbeispiel gewertet werden.
Darüber hinaus hat die Allianz auch die Gewährleistung der Mobilität der BürgerInnen, die Nahversorgung sowie standortverträgliche Erwerbsmöglichkeiten im Blick und bietet hier neben BürgerInnenbussen, Mitfahrbänken, einem eigenen Portal für Mitfahrgelegenheiten und mehreren Car-Sharing-Modellen schließlich auch ein gut ausgebautes Radwegenetz und einen E-Bike-Verleih, um beispielsweise die dezentralen Dorfläden mit Direktvermarktungsangeboten für alle BewohnerInnen gut erreichbar zu machen.
Die Teilhabe aller in der Region Lebenden sowie die Schaffung soziokultureller Qualitäten werden im Hofheimer Land ebenfalls großgeschrieben: Die Koordinationsstelle für NeubürgerInnen, der Freundeskreis „Asyl-Hofheim e.V“, verschiedene Musikfestivals, zahlreiche Ausstellungen und Events sowie mehrere Publikationen sind unzählige beeindruckende Projektbeispiele, die in ihrer Summe eine enorme Breite, Offenheit und Sensibilität für die Bedürfnisse von Menschen aller Altersgruppen, in unterschiedlichsten Lebenssituationen und mit diversen Interessen, unabhängig davon, ob sie gewissermaßen „alteingesessen“ oder neu zugezogen sind, widerspiegeln. Auch die Schaffung und der Erhalt von Freizeit-, Bildungs- und Erholungseinrichtungen für mannigfaltige Bedürfnisse ist in diesem Kontext zu erwähnen.
Zusammenfassend zeigen die Aktivitäten und Maßnahmen der Allianz-Gemeinden, dass sie die Vielfalt ihrer BürgerInnen, die aus allen Teilen Deutschlands, Europas und der Welt kommen, als enormes Gestaltungspotenzial erkennen, fördern und zum Wohle der gesamten Gesellschaft nutzen. Die klare Entwicklungsstrategie, die abgestimmten Planungsprozesse, die Partizipationskultur und nicht zuletzt der alle AkteurInnen einende Wille, die Zukunft zum Wohle der nachfolgenden Generationen in die eigenen Hände zu nehmen, zeigen, dass im Hofheimer Land lokale Antworten auf globale Fragen auf höchstem Niveau gegeben werden.
Evaluiert: 2020