Thallwitz, Sachsen, Deutschland
Thallwitz ist eine Landgemeinde, bestehend aus neun Ortsteilen, 30 Kilometer östlich von Leipzig mit Bahnanschluss im acht Kilometer entfernten Wurzen und etwa 3.500 Einwohnenden mit noch immer, wenn auch nur mehr leicht abnehmender, jedoch stark überalternder Bevölkerung. Dem entgegen baut Thallwitz durch mutiges, innovatives und vor allem eigeninitiiertes kooperatives Handeln in lokalen, regionalen und internationalen Netzwerken wegweisende Brücken in die Zukunft – was nun in der Zunahme in der Altersstruktur der unter 18-Jährigen erste Früchte trägt. Revitalisierte Ortskerne, grüne Gewerbegebiete, innovative Unternehmensansiedlungen und BürgerInneninitiativen im Rahmen „Weltoffenes Sachsen – weltoffenes Wurzener Land“ kreieren lebenswerte und lebendige, aktiv gestaltete Dörfer. Integration statt Ausgrenzung und Verweigerung – das strahlt diese Gemeinde aus und möge damit viele weitere in ihrem Umfeld anstecken.
Im Vorgriff drohender weiterer Eingemeindungen kooperieren die Gemeinde Thallwitz und drei weitere Wurzener Umlandgemeinden im freiwilligen Verwaltungs- und Versorgungsbündnis „Aktionsraum Wurzener Land“ vor allem in den Bereichen Energiewende, Breitband, Tourismus und Mobilität, um im Zusammenlegen die Ausgaben der Kommunen zu minimieren und die Einnahmen zu erhöhen. Ein Leuchtturm dieser Kooperation – und „in Deutschland einmalig“ (https://land-werke.de/) – sind auch die Wurzener Land-Werke, ein 2016 gegründetes Energieunternehmen der vier Kommunen zur Daseinsvorsorge mit dem Fokus auf die Bereitstellung regenerativer Energien in den Bereichen Strom- und Nahwärmeversorgung, Photovoltaik (Solarpark „Kaserne Wurzen“ mit 10.322 Modulen), Windenergie, E-Mobilität und Straßenbeleuchtung sowie den Breitbandausbau.
Seit 2018 ist die Wurzener Land-Werke GmbH als Teil der Region „Geopark Porphyrland“ Mitglied des EU Projektes ZENAPA (Zero Emission Nature Protection Areas) und darin für den Klimaschutz im Wurzener Land aktiv. Ihre Gründung selbst verdankt die Gesellschaft diesem Projekt. Im aufwendigen Gründungsprozess stand ZENAPA vom Businessplan bis zur Corporate Identity als finanzieller Unterstützer zur Seite. Wissenschaftlich betreut wird ZENAPA durch die Hochschule Trier Umwelt-Campus Birkenfeld, Institut für angewandtes Stoffstrommanagement IfaS, das auch federführend in der Entwicklung der energetischen Quartierskonzepte für die einzelnen Ortsteile im „Aktionsraum Wurzener Land“ ist. Jüngstes Projekt und noch in der Entwicklungsphase ist das Energiezentrum Thallwitz, ein „Grünes Gewerbegebiet“ mit Biomasse-Holzkraftwerk unter Berücksichtigung der Nutzungspotenziale von Agrarholz sowie die Ansiedlung einer Anlage zur grünen Wasserstoffproduktion.
Beinahe der gesamte Bereich der Gemeinde Thallwitz ist Vorranggebiet für die Bereitstellung von Wasser. Die Trinkwasserschutzzonen Canitz/Thallwitz sichern auch die Versorgung der Stadt Leipzig mit Trinkwasser. Im Schutz der Trinkwasserressourcen sticht das Wassergut Canitz heraus, ein zertifizierter Muster- und Ausbildungsbetrieb für den ökologischen Landbau, der auf 750 Hektar mitten im Trinkwasserschutzgebiet innovative umweltschonende und zugleich marktorientierte Landwirtschaft erforscht und betreibt. Neben wissenschaftlichen Tagungen setzt das Unternehmen in der Verbreitung seiner Anliegen auf direkte Überzeugung angrenzender, noch konventionell wirtschaftender Betriebe und die Vermarktung eigener Ernten durch das WERTvolle Brot, gebacken mit eigenem Getreide, sowie das WERTvolle Gericht, das fast ausschließlich aus Zutaten aus dem Wurzener Land besteht und in Pflegeheimen und Kitas angeboten wird. Auch in der Erprobung von Agrarholz für den Wasser- und Gewässerschutz, Klimaschutz und Klimaanpassung, Biodiversität und Erosionskontrolle ist das Wassergut Canitz Vorreiter. Zur Verwertung des Gehölzschnitts werden im Gemeindegebiet Nahwärmenetze mit Hackschnitzelheizung ausgebaut.
Fernab vom Konzept des Agrarholzes stehen die Baumpflanzungen der letzten Jahre im Zeichen der nachhaltigen, ökologischen Aufwertung des ländlichen Raumes. 1.000 Ulmen, Eichen, Esskastanien, Obstbäume und Vogelkirschen wurden gepflanzt, allein 617 Bäume durch SchülerInnen der Grundschule Thallwitz. Umwelterziehung findet auch im Grünen Klassenzimmer im Park Canitz statt, ein architekturpreisgekrönter Ersatzneubau auf einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gut.
Ein Projekt am Beginn der Realisierung ist SAULIS (Spektakuläres Arbeiten und Leben im Supervulkanzentrum), für das in der Nachbarschaft und im Zusammenspiel mit dem Herrenhaus Röcknitz, heute ein Geoportal des „Geopark Porphyrland“, ein ehemaliger, denkmalgeschützter Rennpferdestall saniert und zu Co-Working und Co-Living ausgebaut wird – als ein innovatives, regionales Zentrum für gemeinschaftliches, zukunftsweisendes Arbeiten und Leben, für Bildung, Kunst und Kultur.
In der leerstehenden ehemaligen Mittelschule in Röcknitz werden neue, barrierefreie Wohnformen Platz finden. Da die Region im Muldenland weitere, teils imposante Leerstände zu bieten hat, wird auf „DorfBauKulTouren“ per Rad Interesse unter den nahen Städtern für diese geweckt. Auch die Kunstaktionen des FAIL (Fine Arts Institut Leipzig), die gesellschaftliche Auseinandersetzung und die Kunstszene vor Ort stärken und zur Gründung der Kunstgruppe9 führten, das „Multiple Haus“ in der Alten Dorfschule Böhlitz mit Einbauten für wechselnde Tätigkeiten eines Landarztes, einer Physiotherapeutin sowie anderer DienstleisterInnen und außerhalb der Dienstzeiten offen für Freizeitaktivitäten der Dorfgemeinschaft, das nach einem Brand durch die Gemeinde wieder aufgebaute und nun im Eigenbetrieb geführte Gasthaus zum Reußischen Hof, die von Kirche und Gemeinde gemeinsam sanierte und bespielte KulturKirche Nischwitz, eine im privaten Engagement wiederbelebte Tanzdiele, die Büchertauschgarage u.v.m. bieten im großen wie kleinen Maßstab herausragende Anregungen für eine nachhaltige Erneuerung trotz großer demografischer Herausforderungen.
Nicht zuletzt findet das Jugendparlament Wurzener Land hier Erwähnung, deren VertreterInnen auch den Europäischen Dorferneuerungspreis für die Gemeinde Thallwitz filmisch und in Interviews begleitet haben. Ihr Engagement ist wichtiger Baustein für die politische Teilhabe der jungen Generation. Sie wurden 2021 von über 500 SchülerInnen gewählt und werben höchst ansprechend in social media für ihre Anliegen. Sie sind einer der Schlüssel für eine wachsende Attraktivität dieser ländlichen Region.
Evaluiert: 2022