Steinbach, Thüringen, Deutschland

Steinbach, ein Ortsteil der Stadt Bad Liebenstein, liegt in einem engen Tal an steilen, bewaldeten Hängen und ist von Fachwerkhäusern gekennzeichnet. Die EinwohnerInnenzahl beläuft sich auf 1.035, was einem Bevölkerungsverlust von knapp 30 Prozent in den vergangenen zwanzig Jahren entspricht. Aufgrund der kargen Böden spielte die Landwirtschaft keine große Rolle, dafür war Steinbach für Bergbau und sein jahrhundertealtes Messer- und Schlosserhandwerk bekannt. In DDR-Zeiten wurden die örtlichen Messerfirmen zu staatlichen Großbetrieben mit bis zu 1.000 ArbeitnehmerInnen. Als nach der Wende der Strukturwandel einsetzte und die Betriebe geschlossen wurden, zählte das Dorf um die 1.500 EinwohnerInnen, die keine Perspektive mehr hatten. Die Arbeitslosigkeit betrug 90 Prozent, immer mehr Menschen wanderten auf der Suche nach Arbeit ab, wodurch die örtlichen Nahversorgungseinrichtungen und Dienstleistungsbetriebe nicht mehr rentabel waren und ihre Pforten nach und nach schlossen. Leerstand, Verfall und Resignation machten sich breit, aber auch Widerstand und der Wunsch, den Teufelskreis zu durchbrechen, begannen sich zu Beginn der 2010er-Jahre zu regen.

Eine wichtige Voraussetzung und zugleich auch die Initialzündung für den Dorfentwicklungsprozess war der Zusammenschluss der Gemeinde Steinbach und anderer Ortsteile zur Stadt Bad Liebenstein im Jahr 2013. Als planerische Basis dient seit 2016 das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) der Stadt Bad Liebenstein. Im weiteren Verlauf des Prozesses kamen ein Dorfleitbild, ein Vitalisierungskonzept und konkrete Entwicklungsziele hinzu. Dass man in Steinbach gut leben und alt werden kann, hat höchste Priorität und demgemäß erachtet man es als sehr wichtig, die Dorfmitte lebendig zu halten, Nahversorgung und Mobilität für Jung und Alt langfristig zu sichern, die lokale und die regionale Wertschöpfung zu stärken, den kommenden Generationen Zukunft zu geben, Traditionen zu bewahren und neu zu denken, die Dorfgemeinschaft zu stärken sowie die Steinbacher Identität und Marke zu forcieren.

Die wesentlichen Instrumente der Partizipation sind der seit 2017 durchgeführte Steinbacher Zukunftsstammtisch und verschiedene Projektgruppen. Der Zukunftsstammtisch wird monatlich veranstaltet und dient der Diskussion der aktuellen und generellen Themen. Die einzelnen Projekte werden von Projektgruppen, die allen Interessierten offen stehen, vorbereitet und umgesetzt. Das Ausmaß der Beteiligung und der Eigeninitiative der Steinbacher BürgerInnen ist beeindruckend und darf als großes Zukunftspotenzial angesehen werden.

Besonders bemerkenswerte Ergebnisse im Entwicklungsprozess wurden in den Bereichen Soziales, Nahversorgung, Mobilität, Gemeinschaftsleben und Stärkung der Identität erreicht. Eines der herausragendsten Projekte stellt das „Steinbacher Messerstübchen“ dar, mit dem das Dorfzentrum belebt und die Nahversorgung deutlich verbessert werden. Es beherbergt ein Café, einen Dorfladen und einen Gemeinschaftssaal, in dem wöchentlich der SeniorInnenstammtisch und monatlich der Zukunftsstammtisch abgehalten werden.

Die gute Versorgung mit sozialen Einrichtungen liegt zwar großteils im Verantwortungsbereich der Stadt Bad Liebenstein, doch die SteinbacherInnen tragen mit ihren ehrenamtlichen Aktivitäten und Eigeninitiativen zu einer spürbaren Ausweitung des Angebotes bei. Beispiele dafür sind die Unterstützung der SeniorInnen etwa beim Winterdienst und beim Einkaufen durch die Projektgruppe „Steinbach hilft“ und die „Mitfahrbank“ im Bereich der Bushaltestelle, wo man nicht nur Mitfahrgelegenheiten zu den nahegelegenen Orten und Städten außerhalb der Fahrplanzeiten der Busse findet, sondern auch einen Ort der Kommunikation geschaffen hat.

Das Dorf hat große Anstrengungen zur Stärkung der Identität der Bevölkerung unternommen. Im Zentrum stehen dabei das Thema Messer, dem man sich mit verschiedenen Aktivitäten und Einrichtungen wie Messerstübchen, Messerlauf oder Messerpfad widmet, und Marin Luther, der 1521 in der Nähe von Steinbach entführt worden war. Das Luther-Denkmal, die Luther-Theateraufführungen oder die Luther-Festwochen sollen ebenso wie die Auseinandersetzung mit der Industriegeschichte Steinbachs darüber hinaus auch einen Beitrag zur lokalen Wertschöpfung leisten.

Gute Beispiele für die starke Dorfgemeinschaft sind weiters der Steinbacher Adventskalender, der von Hausfenstern gebildet wird und Tag für Tag mehr Licht erstrahlen lässt, oder die Bankpatenschaften, im Rahmen deren die Menschen im Ort ehrenamtlich die Instandhaltung der zahlreichen Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum übernehmen. Dass Kooperationen gesucht und genutzt werden, wird bei mehreren Maßnahmen, insbesondere auch bei dem Projekt „Jedes Dorf hat seinen Zwilling“, deutlich: Ausgehend von der Namensgleichheit ist man mit der oberösterreichischen Gemeinde Steinbach an der Steyr eine Patenschaft eingegangen und tauscht sich regelmäßig aus, zumal es viele Gemeinsamkeiten gibt, sind doch beide Bergdörfer mit industrieller Vergangenheit.

Mit der Umstellung der Ortsbeleuchtung auf LED und mit dem Pilotprojekt „Wasser zu Licht“, bei dem das Wasserrad eines ehemaligen Messerbetriebs Strom für die Straßenbeleuchtung erzeugt,  setzt man auch erste Schritte im Bereich der Nutzung erneuerbarer Energien.

Steinbach hat innerhalb weniger Jahre viel erreicht. Die Arbeitslosigkeit wurde deutlich verringert, neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, der Bevölkerungsrückgang wurde spürbar abgeschwächt, Wertschöpfung, Nahversorgung und die gesamte Lebensqualität wurden verbessert, die Identifikation, der Zusammenhalt und das Selbstwertgefühl der BürgerInnen wurden massiv gestärkt. Aus desillusionierten Menschen sind Zukunftsschmiede geworden, die partizipativ, proaktiv, strategisch und engagiert nach vorne schauen und die großen Herausforderungen, die auf sie warten, in Angriff nehmen wollen.

Evaluiert: 2020