Witteveen, Niederlande
Das 560 EinwohnerInnen zählende Witteveen liegt als eines von 35 Dörfern der Gemeinde Midden-Drenthe im Zentrum der Provinz Drenthe, einer der am dünnsten besiedelten Teile der Niederlande. Das Dorf entstand 1926 im Zuge einer Arbeitsbeschaffung in einer der letzten Moor-Fehnflächen als regelmäßige Anlage von Siedlerhäusern mit Selbstversorgergärten. Die Straßenführung um den mittigen grünen Anger und eine Ziege als Symbol der Selbstversorgung sind noch heute die Wahrzeichen von Witteveen.
Wie vielerorts ist der demografische Wandel eines der bestimmenden Themen auch in Witteveen: Die Anzahl der Jungen schrumpft, die Anzahl der SeniorInnen steigt rasch. Die drohende Schließung der Grundschule sorgte 2011 für die notwendige Beschleunigung, diese Problematik wahrzunehmen und selbstbestimmt Lösungen zu finden. In einem langen, aus eigener Initiative organisierten Abwägungsprozess fusionierten schließlich die Grundschule und die Jugendabteilung des Fußballvereins mit Platz und Vereinshaus mit den jeweiligen Einrichtungen des Nachbardorfes, und zwar unter beiderseitiger Bündelung aller Ressourcen und in zukunftsorientierter Ausrichtung – die Schule übersiedelte nach Nieuw Balinge, während der Sport die Domäne Witteveens wurde. Zwischen den beiden Orten wurde darüber hinaus eine neue Radwegverbindung unter Verwendung landwirtschaftlicher Wege und Flächen errichtet.
Ab diesem Moment nahm das Dorf die Herausforderungen planmäßiger in die Hand, und zwar mit dem erklärten Ziel, den Entwicklungen fortan nicht mehr hinterherzulaufen. Denn klar wurde auch: Die Behörden in Gemeinde und Provinz verwalten die mit dem demografischen Wandel immer knapper werdenden öffentlichen Mittel, indem sie verstärkt auf das Engagement der BürgerInnen in den Dörfern verweisen.
2012 startete die Arbeitsgruppe „Nieuw Grijs“ (Neues Grau), die im Dorf systematisch erfragte und aufzeigte, wie ältere BewohnerInnen so lange wie möglich in Witteveen bleiben können, auch in einer klugen Kopplung von informeller und professioneller Pflege. Hieraus entstand das Projekt „Naoberkracht“, starke Nachbarschaft. Zwei ehrenamtliche DorfbewohnerInnen, bekannt als das Noaberkracht-Duo, besuchten alle Haushalte, erfassten deren Wünsche und Möglichkeiten und inventarisierten Gehörtes und für die Dorfgemeinschaft Bestimmtes in einer digitalen Kartei. So werden private Hilfsanfragen und -angebote miteinander vernetzt, der soziale Zusammenhalt des Dorfes insgesamt stieg merklich an und neue Einrichtungen wie ein Geräte- und Werkzeugverleih, ein Reparaturdienst, ein neuer Jugendclub oder eine spezielle Turnstunde für SeniorInnen entstanden.
Aus der leer gefallenen Grundschule in Witteveen ist in frischen Farben und mit zeitgemäßer Ausstattung Schritt für Schritt ein voll funktionierendes Mehrgenerationenzentrum mit Kinderkrippe und Kindergarten, Jugendclub, Fitnessstudio, Physiotherapie, Friseur, vereinsgeführtem Tagescafé im „Dorfwohnzimmer“, Sportlerbar und neuen Freianlagen samt einem „Dorfplatz“ geworden – das pralle Leben unter einem Dach. Auch viel ehrenamtliches Engagement floss und fließt in den Ausbau und in den Betrieb des Zentrums. Die Wände ziert eine bemerkenswerte und stetig anwachsende Serie von Fotocollagen aller DorfbewohnerInnen, ein Kunstprojekt einer ortsansässigen Fotografin.
Um zukunftsfähig zu bleiben, war Witteveen einer der Vorreiter für ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz in der Gemeinde Midden-Drenthe. Ehrenamtliche haben das Projekt in der Trägerschaft einer BürgerInnengenossenschaft konzipiert und in allen Haushalten dafür geworben, um die Investition auf eine breite Basis zu stellen. Die Provinz hat einen günstigen Kredit bereitgestellt, der langfristig über die monatlichen Raten abgegolten wird.
Ebenso auf der Höhe der Zeit ist die Internetpräsenz Witteveens auf www.dorpwitteveen.nl des „Dorpsbelang Witteveen“. Dieser Verein hat als Kernaufgabe die Aktivierung, Koordination und Leitung der ehrenamtlichen Zusammenarbeit im Dorf und bildet die Schnittstelle zu den professionellen PartnerInnen im und außerhalb des Ortes, beispielsweise zu der Stenden Hochschule, die ein Beratungsteam für kleine Dörfer zur Verfügung stellt.
Reger Austausch mit den Orten der Umgebung ist über eine regelmäßige Beratungsrunde sowie die Dorfkonferenz DOM, der die 21 Dörfer mit weniger als 3.000 EinwohnerInnen der Gemeinde Midden-Drenthe angehören, gegeben. Regional, national und international ist Witteveen über das europäische Programm „I-CARE – International communication and active ageing in a rural environment“ bestens vernetzt.
Zusammenhalt und Engagement werden heute in Witteveen in außergewöhnlichem Maße und modernem Geist gelebt. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass die DorfbewohnerInnen aller Generationen einander brauchen, um in ihrem Dorf langfristig leben zu können. Für die beispielgebenden Initiativen ist Witteveen 2017 auf nationaler Ebene deshalb mehrfach ausgezeichnet worden.
Evaluiert: 2018