Fliess, Tirol, Österreich
Die knapp 3.000 EinwohnerInnen zählende Gemeinde Fließ liegt geographisch weit verzweigt in zwei Talschaften, dem Inntal und dem Pitztal, zwischen 840 m und 2.786 m Seehöhe. Die fünf Hauptorte werden ergänzt durch eine große Zahl an idyllischen Weilern, die Bezirkshauptstadt Landeck ist 7 km, die Landeshauptstadt Innsbruck 80 km entfernt.
Wie viele ländliche Gemeinwesen war Fließ zu Beginn der 1980er-Jahre von Abwanderung, Leerstand in den Ortszentren, Schließung von Nahversorgern, Rückgang der Arbeitsplätze und einem massiven Funktionsverlust gekennzeichnet. Doch nicht Resignation, sondern eine umfassende, ganzheitliche Entwicklungsarbeit, die in gleicher Weise auf kommunale Eigenständig wie auch auf regionale Netzwerke setzt, war die Antwort. Einer der Eckpunkte der Trendwende war eine vorausschauende, ressourcenbewusste Siedlungspolitik, die neues verdichtetes Bauen ermöglichte, in Kombination mit dem Ankauf von Grundstücken und leer gefallenen Gebäuden im Ortskern. Mittels Architekturwettbewerben, an denen auch die Bürgerinnen beteiligt werden, gelang es, bemerkenswerte baukulturelle Akzente zu setzen und vielfältige Einrichtungen zu schaffen, die zu einer deutlichen Revitalisierung und Erhöhung der Lebensqualität der BewohnerInnen führten. Aber nicht nur das zeitgemäße Bauen – Beispiele dafür sind das multi-funktionale Gebäude gegenüber der Kirche mit Café, Museum, Mehrzwecksaal und Büros, das Naturparkhaus und das Gemeindezentrum – genießt einen hohen Stellenwert. Auch das Bewusstsein für das Architekturerbe wurde geschärft, wie in herausragender Weise die fachgerechte Sanierung eines rätoromanischen Mittelflurhauses sowie eines ortsbildprägenden Gasthauses aus dem 15. Jahrhundert, das für Wohnen, Büros und kulturelle Zwecke zeitgenössisch umgebaut wurde, beweisen.
Auf engem Raum beherbergt das attraktive Dorfzentrum nun viele Funktionen im Sinne der Nahversorgung mit Gütern und Dienstleistungen aller Art. Auch ein Jugendclub, preisgünstige Starterwohnungen und betreubare Wohnungen haben hier Platz gefunden und sind ein Zeichen dafür, dass die Bedürfnisse aller Generationen wahrgenommen werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf das große Engagement der Gemeinde zur Erhaltung der kleinen Volksschulen sowie die Modernisierung der Neuen Mittelschule verwiesen, die auch Kindergarten, Krippe und Hort Raum gibt und damit eine ganzjährige, qualitativ hochwertige Betreuung von Kindern zwischen einem und 15 Jahren gewährleistet. Auch das inhaltliche Konzept der NMS mit einer Freiraumklasse, die lebensnahes ökonomisches, handwerkliches und künstlerisches Lernen aufbauend auf den regionalen Ressourcen und Besonderheiten verfolgt, beeindruckt. Wesentlichen Anteil daran hat die enge Kooperation der Schule mit dem Museumsverein und dem Naturpark Kaunergrat.
Apropos Naturpark Kaunergrat: Die vor neun Jahren gegründete, über Gemeindegrenzen hinausgehende Plattform für Pflege und schonende Inwertsetzung von Natur- und Kulturlandschaft, nachhaltiges Wirtschaften und regionale Wertschöpfung hat heute den Rang eines erfolgreichen Impulsgebers und einer effizienten Serviceschnittstelle für Naturschutz, Landwirtschaft, Tourismus und Bildung. Große überregionale Beachtung finden die Maßnahmen für ein barrierefreies Piller Moor und das Natur- und Kulturpanorama „Gacher Blick“. Auch eine wichtige soziale Funktion vermag der Naturpark zu erfüllen: AsylwerberInnen, die in der Gemeinde untergebracht sind, finden hier nicht nur eine Beschäftigung, sondern erhalten dabei im Rahmen eines LEADER-Projektes in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Fließ eine Ausbildung als Schutzgebietshelfer. Eine wertvolle Maßnahme im Sinne der Integration, die explizit als Win-win-Situation bezeichnet wird, was verdeutlicht, dass „offen sein“ in Fließ auch gegenüber den Fremden auf der Flucht gilt.
Weitere Kernelemente der nachhaltigen Entwicklung des Preisträgerortes sind die Modernisierung der gemeindeeigenen Almgebäude und Sennereien für die in einer Agrargemeinschaft organisierten LandwirtInnen, die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze durch Firmenneugründungen von JungunternehmerInnen mit Gemeindestarthilfe, das Engagement im Bereich erneuerbarer Energien als E5-Gemeinde und die kommunale Breitbandversorgung. Nicht zuletzt sei auch die beeindruckende „Museumslandschaft“ genannt: Die zahlreichen außergewöhnlichen Funde aus der Räten- und Römerzeit werden in angemessener und sehr ansprechenden Form in einem Archäologischen Museum, dem Dokumentationszentrum Via Claudia Augusta sowie in der Freilichtausgrabung und -ausstellung in der Tiefgarage des neuen Gemeindezentrums präsentiert. Und auch zeitgenössische Kunst und Kultur sind allgegenwärtig, zum Beispiel mit Ausstellungen wie „Häuser“ über Hausbaukultur in Tirol oder „Aus der Norm“ über Menschen, die anders sind, die im privat geführten Kulturgasthof „Weißes Kreuz“, der gemeinnützigen Initiativen Raum bietet, untergebracht sind.
Fließ ist es Dank einer Vielzahl von miteinander koordinierten, von der Gemeinde angeregten und gleichzeitig mit ausgesprochen hoher Bürgerbeteiligung umgesetzten Maßnahmen gelungen, eine Wiederbelebung des Ortes zu erreichen – ein Prozess, der von regionalen und überregionalen Kooperationen bereichert wird, ein hohes Maß an Offenheit für neue Ideen aufweist und durch Sensibilisierung für die eigene Geschichte und Identität das Neue, Andere und Fremde nicht als Bedrohung abweist, sondern als Bereicherung zu integrieren vermag.
Evaluiert: 2016