Kootwijkerbroek, Niederlande
Die Geschichte der über 5.000 EinwohnerInnen zählenden Ortschaft Kootwijkerbroek in der niederländischen Region Gelderland ist so überwältigend wie einmalig: 2001 raubte eine vermeintliche Maul- und Klauenseuche mit der Keulung von 60.000 Tieren und 250 Millionen Euro Schaden ca. 200 Betrieben die Lebensgrundlage. Die Viehhaltung hatte direkt und indirekt 40 % der Wirtschaftsaktivität ausgemacht. Massive Proteste, weil nicht klar war, ob die Maßnahmen überhaupt begründet waren, Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen, Massenabwanderungen junger Menschen, brach liegende Felder und ein stockendes Vereinsleben waren die Folgen.
Eine Gruppe Mutiger fand sich 2001 in einem Ortsinteressenverein zusammen und gemeinsam mit dem immer noch regen Unternehmerverband starteten sie eine Dorfentwicklung mit einem visionären Zehn-Jahresplan. Zu Hilfe kam ihnen eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Wageningen, die das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial des Ortes innerhalb der Gemeinde Barneveld äußerst positiv bewertete. Mit dem immer stärker werdenden Engagement der EinwohnerInnen in Initiativgruppen und der Strukturvision von 2004 konnte die Entwicklung umgedreht werden: Gegen den Trend der Krise wurde landwirtschaftliche Fläche umgewidmet und für eine Ortserweiterung mit verdichteten Wohnformen in kostengünstigen Baugemeinschaften für junge Familien und das innovative Gewerbegebiet „Puurveen“ für 30 Unternehmen bis zu einer bestimmten Baukörpergröße erschlossen. Der nahtlose Übergang von Altort zu Erweiterung sowie zu neuem Wohnen und neuem Gewerbe, die erzielten Dichten bei gleichzeitig hohen städtebaulichen wie architektonischen Qualitäten – mit sich gut ins Ortsbild einfügenden und dennoch zeitgemäßen Bauten mit Backsteinhüllen – ist bemerkenswert.
Die Katastrophe der Zwangskeulung wurde als Chance gesehen, auch neue Wege und Zweige in der Tierhaltung einzuschlagen. Diese erscheinen auf Basis der derzeitig erzielbaren Verkaufserlöse wirtschaftlich sehr erfolgreich: Bei rund 2.200 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche bietet die Landwirtschaft Platz für über 200 Betriebe mit einer Durchschnittsgröße von nur zehn ha. Rund 20 % der Arbeitsplätze stammen aus dieser Form der Landwirtschaft: nahezu bodenungebundene Tierhaltung in bestens automatisierten Großställen mit zusätzlicher Energiegewinnung aus Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern und hoher überregionaler Vermarktung. Die Entsorgung des anfallenden Dungs erfolgt in ebenfalls überregionalen Biogasanlagen. Trotz dieser Tierhaltung in Großbeständen werden die engmaschig mit Hecken und Landschaftselementen durchsetzten kleinräumigen Fluren nach wie vor bewirtschaftet und so die landschaftliche Identität erhalten.
Heute präsentiert sich Kootwijkerbroek als wachsende Gemeinschaft mit der höchsten Unternehmerdichte in den Niederlanden und modernsten sozialen Infrastrukturen. In ansprechender Architektur in Holz und Glas fungiert das 2008 fertig gestellte Kulturhaus „Essensburcht“ als neue Drehscheibe des Dorfes. Das durch einen Verein verwaltete und sich selbst finanziell tragende Kulturhaus als Multifunktionshaus für alle Generationen beherbergt Räume für 43 Vereine, ein Restaurant, ein Café, die Musikschule, einen Jugendtreff und die Bibliothek. Dem Kulturhaus gegenüber befindet sich der zeitgleich errichtete Komplex „Schoonbeek“ mit einem mehrgliedrigen Ärztehaus und 40 Einheiten für Betreutes Wohnen. Ganz in der Fortschreibung der regionalen Baukultur ist das Haus in hellem Backstein gehalten. Die attraktiven Seniorenappartements liegen allesamt um ein Licht durchflutetes, glasgedecktes Atrium. Erwähnenswert ist auch der jüngst von den EinwohnerInnen Kootwijkerbroeks errichtete Bike-Park.
Neben den innovativen Entwicklungen ging in Kootwijkerbroek der Sinn für die Wurzeln des Dorfes nicht verloren. Als nächstes Projekt wird als Ersatz für die abgebrannte Puurveener Mühle eine historische Mühle mit einem integrierten Dokumentationszentrum für traditionelles Handwerk aufgebaut, die als Mittelpunkt für eine nächste Ortserweiterung fungieren soll.
Evaluiert: 2012